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Siedlungen ohne Parkplätze «Autofreie» Siedlung in Bern gibt zu reden

In Bern gibt es immer mehr Siedlungen mit wenigen oder gar keinen Parkplätzen. Ein extremes Beispiel erregt die Gemüter.

Die Regeln sind strikt: Wer in die neuen Wohnblocks an der Wylerfeldstrasse in Bern einziehen will, hat kein Anrecht auf eine Parkkarte in der blauen Zone, ebenso wenig gibt es einen Einstellhallenplatz im ganzen Quartier oder einen Parkplatz rund ums Gebäude.

Und doch seien die Wohnungen mehrere Monate vor Bauende schon fast alle vermietet, sagt Franziska Iseli, Geschäftsführerin bei der Wyler Baugesellschaft AG: «Von den 50 Wohnungen, die wir auf den Sommer hin fertigstellen, sind nur noch drei zu haben.»

Noch 40 Prozent der Stadtberner Haushalte haben ein Auto

Die Nachfrage ist also da, auch wenn nur Mieterinnen und Mieter ohne Auto zum Handkuss kommen. Das heisst: Städtische Siedlungen für Leute ohne Auto zu bauen, ist für Immobilienunternehmen heute problemlos möglich. Mehr noch: es lohnt sich sogar, weil Kosten wegfallen.

«Wir wollten ursprünglich eine Einstellhalle bauen, hatten aber zu wenig Platz für die Zufahrt. Wir hätten Ersatzabgaben für die Nutzung der blauen Zone zahlen müssen, über 300'000 Franken», rechnet Franziska Iseli vor. So habe man sich entschlossen, ein Baugesuch für eine autofreie Siedlung einzureichen – aus rein ökonomischen Gründen, nicht etwa, um der rot-grünen Stadtregierung zu gefallen, betont Iseli. Die Wyler Baugesellschaft gehört zu einem Viertel der Stadt Bern.

Freie Parkplätze, volle Veloabstellplätze

Autofreie oder autoarme Siedlungen – es gibt sie im Burgunderquartier in Bümpliz oder im Oberfeld in Ostermundigen. An der Hubergasse im Steigerhubel haben die Bauherren noch eine Einstellhalle gebaut. Die Rechnung: Ein Parkplatz auf fünf Wohnungen. Doch auch mit dieser niedrigen Parkplatzzahl blieb die Halle zur Hälfte leer. Jetzt werden die Plätze an externe Mieterinnen und Mieter vergeben. Voll sind hingegen die Veloabstellplätze vor den Hauseingängen.

Velos
Legende: Der Platz für Velos fehlt, während die Parkplätze teilweise leer bleiben. SRF

Dass immer mehr Leute auf ein Auto verzichten, freut die Stadt Bern. Für Finanz- und Immobiliendirektor Michael Aebersold (SP) hilft das, die ehrgeizigen Klimaziele der Stadt zu erreichen: «Wir wollen den Verkehr reduzieren. Weniger Autos in der Stadt, weniger Pendlerverkehr. Wenn möglich, sollen die Leute in der Stadt wohnen und arbeiten. Und das autofrei.»

Bürgerliche haben Bedenken

Doch da regt sich Kritik: «In der Stadt zu leben und auch zu arbeiten, ist immer noch ein Privileg», sagt Simone Richner, Vize-Präsidentin FDP Stadt Bern. Wenn nur noch autofreie Mieterinnen und Mieter zugelassen würden, sei das diskriminierend: «Eine ganze Gruppe wird ausgeschlossen. Ich denke an Familien mit Kindern, die auf ein Auto angewiesen sind, an Schichtarbeiter mit längerem Arbeitsweg oder auch an Menschen mit einer Behinderung.»

Finanzdirektor Michael Aebersold kontert: «Es sind ja nur wenige Siedlungen, bei welchen die Kriterien so schwarz-weiss sind. Dies liegt drin. Es gibt noch genügend Überbauungen, bei welchen man ein Fahrzeug haben darf.»

Bauunternehmerin Franziska Iseli sieht sogar Vorteile für die Bevölkerung: «Wir finden es wichtiger, bezahlbare Wohnungen anzubieten, statt in eine Einstellhalle zu investieren.» Tatsächlich: Eine Viereinhalbzimmer-Wohnung in den neuen Blocks kostet netto 2000 Franken Miete. Manche nehmen da die Bedingungen in Kauf.

Schweiz aktuell, 02.03.2022, 19:00 Uhr

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